Das abgebaggerte Kies wird mit Wasser aus dem im Bild sichtbaren See gewaschen, bevor es in ein Silo kommt.
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Ein Beispiel, wofür Unternehmen Wasser nutzen: Kieswäsche in Großwallstadt.

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Knappes Gut: Wofür Betriebe kostenlos Wasser pumpen dürfen

In trockenen Regionen soll die Bevölkerung im Sommer Wasser sparen. Gleichzeitig dürfen Betriebe kostenlos Wasser abpumpen – welche genau, ist nicht öffentlich. BR24 und der "Main-Post" liegen nun die Inhaber großer Wasserrechte in Unterfranken vor.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Es sei wie beim Duschen. Ohne Wasser geht es nicht. Schon seit Jahrzehnten baut die Firma von Johannes Orgeldinger an der Grube Sand und Kies ab. Regelmäßig fährt der 76 Jahre alte Geschäftsführer noch selbst in einem Geländewagen durch das Werk im unterfränkischen Großwallstadt. Eine Baggerschaufel zieht Steine sieben Meter tief aus einem See. Doch damit die Steine als Kies verkauft werden können, müssen sie zunächst gewaschen werden. Bis zu 500.000 Kubikmeter Wasser darf die Firma dafür jährlich nutzen.

Wer Wasser nutzen darf, ist oft nicht bekannt

Johannes Orgeldinger spricht offen über seinen Wasserbedarf: "Wir haben nichts zu verbergen." So transparent wie er damit umgeht, so zugeknöpft sind bayerische Behörden üblicherweise beim Thema Wasser. Für die Öffentlichkeit und Medienvertreter ist es schwierig, an verlässliche Informationen zu kommen, wer kostenlos Wasser aus Boden, Flüssen oder Seen pumpen darf. Das gilt sogar dann, wenn es sich um große Mengen handelt, die zu gewerblichen Zwecken verwendet werden.

Wissenschaftler fordert mehr Transparenz bei großen Entnehmern

Dabei ist Wasser ein öffentliches Gut. "Es gehört der Allgemeinheit", sagt Harald Kunstmann, Professor für Hydrologie an der Universität Augsburg. Inzwischen gebe es in Bayern in bestimmten Regionen und zu bestimmten Jahreszeiten Mangelsituationen. In solchen Fall sei es ein "öffentliches Interesse, dass Wasserentnahmen von unterschiedlichen Seiten bekannt und transparent sind", sagt Kunstmann. Ein offener Umgang könne dazu beitragen, Verteilungskonflikte zu entschärfen.

Eine dieser trockenen Regionen Bayerns ist der Regierungsbezirk Unterfranken. Hier gibt es sie mancherorts schon, die von Kunstmann angesprochenen Verteilungskonflikte. Die Regierung Unterfrankens musste die Bevölkerung in der Vergangenheit bereits zum Wassersparen aufrufen. Einem Team von BR24 und der Tageszeitung "Main-Post" liegen nun die Namen der Inhaber der größten Wasserrechte in diesem Regierungsbezirk vor.

Eine monatelange Recherche war dafür notwendig. Der Auskunftsanspruch musste mehrmals ausführlich begründet werden, die Behörden verwiesen etwa auf Datenschutz oder Geschäftsgeheimnisse. Viele Firmen, Verbände oder Betriebe reagierten auf Anfrage der Journalisten hingegen eher wie Johannes Orgeldinger: Sie legen ihren Wasserverbrauch offen, beschreiben umfassend, wie sie Wasser sparen möchten oder dies bereits tun.

Experte: Wasserknappheit wird nicht allein durch Bevölkerung gelöst

Das Verhalten der Behörden ärgert Hydrologe Harald Kunstmann. Beim Thema Wasserknappheit wird ihm zu oft vom Verbraucherverhalten gesprochen – zum Beispiel auch vom zu häufigen Duschen. "Dass Bürgerinnen und Bürgern bei Wasserknappheit suggeriert wird, sie sollen bei der Körperhygiene sparen, finde ich unangemessen. Noch dazu, wenn die tatsächlichen Entnahmen großer Wasserentnehmer bisher nicht kommuniziert werden", sagt Kunstmann.

Die von Kunstmann geforderte Öffentlichkeit wird durch die Recherche von BR24 und "Main-Post" zumindest für Unterfranken teilweise hergestellt. Das Ergebnis: Ein Datensatz mit rund 70 Wasserrechten [externer Link, womöglich Bezahlinhalt], die eine Entnahme von 100.000 Kubikmetern Wasser pro Jahr oder mehr genehmigen. Ab dieser Höhe gilt eine gesetzliche Pflicht, die tatsächlich genutzten Wassermengen zu erfassen und jährlich an die Wasserwirtschaftsämter zu melden. Die Großrechte verteilen sich auf knapp 60 Nutzer: Firmen, Gemeinden, einzelne Privatpersonen und Bewässerungsverbände.

Erstmals Überblick: Die größten Wasserentnahmen in einer trockenen Region

Insgesamt gibt es in Unterfranken knapp 2.000 Wasserrechte – auf die großen 70 entfallen nach Angaben der Wasserwirtschaftsämter und Berechnungen des Rechercheteams aber mehr als 90 Prozent der gesamten genehmigten Menge. Nach eigenen Angaben der Entnehmer und nach Informationen der Behörden wird allerdings bei vielen Entnahmen die erlaubten Mengen nicht ausgeschöpft. Die Betriebe nutzen oft weniger Wasser, als ihnen genehmigt wurde.

Die Daten, die dem Rechercheteam erstmalig vorliegen, erlauben daher einen grundlegenden Blick darauf, in welchen Wirtschaftszweigen besonders große Mengen aus dem Grundwasser, Flüssen und Seen gepumpt werden dürfen. Anspruch auf Vollständigkeit können sie jedoch aufgrund der schwierigen Datenlage nicht erheben.

Grundwasser für Chemie, Kunststoffe und Papier

Grundwasser wird in der unterfränkischen Wirtschaft derzeit vor allem in der Chemie- und Kunststoffindustrie verbraucht. Vier Entnehmer aus diesem Bereich dürfen zusammen knapp 15 Millionen Kubikmeter Grundwasser pro Jahr pumpen. Auch in der Papierindustrie ist der Wasserbedarf hoch.

Die folgende Karte zeigt die großen Wasserrechte für das Grundwasser in Unterfranken im Überblick – wird ein Punkt ausgewählt, werden Einzelheiten wie der Name des Inhabers und die genehmigte Menge angezeigt:

Mehr als die Hälfte der Unternehmen und Betriebe äußerte sich auf Anfrage von BR24 und der "Main-Post" umfassend zu ihrem Wasserbedarf. Sehr häufig erklärten sie, dass sie bereits Maßnahmen ergreifen, um in ihrer Produktion Wasser zu sparen.

Viele Unternehmen bemühen sich, Grundwasser zu sparen

So schreibt zum Beispiel das Odenwald Faserplattenwerk (OWA), dass sie für das laufende Jahr mit einer Wasserentnahme unterhalb von 100.000 Kubikmetern rechnen. 400.000 Kubikmeter sind genehmigt. Der Glasverpackungshersteller Gerresheimer berichtet, in diesem Jahr eine Prozesswasseranlage umbauen zu wollen. Dadurch könne der Wasserverbrauch um etwa 50.000 Kubikmeter pro Jahr gesenkt werden.

Im Müllheizkraftwerk Würzburg wird zusätzlich zu einem Brunnen auch Sickerwasser genutzt. Es stammt vom Gelände einer nahegelegenen Deponie. Dort wird das Wasser gesammelt und später ins Kraftwerk eingespeist.

Wasser aus dem Main kühlt Kraftwerke und Industrieanlagen

Aus dem größten Fluss in Unterfranken, dem Main, und anderen Oberflächengewässern, dürfen noch sehr viel größere Mengen entnommen werden als aus dem Grundwasser. Auch hier spielen Chemie- und Kunststoffindustrie, aber auch Maschinenbauer und Automobilzulieferer eine große Rolle. Herausstechend sind drei Energiebetriebe, die zusammen jedes Jahr fast 200 Millionen Liter aus dem Main pumpen dürfen.

Die folgende Karte zeigt die großenWasserrechte für die Flüsse und Seen in Unterfranken im Überblick – wird ein Punkt ausgewählt, werden Einzelheiten wie der Name des Inhabers, das Gewässer und die genehmigte Menge angezeigt:

Bei diesen Entnahmen ist wichtig: Oft handelt es sich um Kreislaufsysteme. Das bedeutet: Nur einen geringen Teil des Wassers verbrauchen die Betriebe. Insbesondere dann, wenn sie Wasser aus Flüssen pumpen, leiten sie es oft wieder zurück. Häufig wird das Wasser in diesen Fällen als Kühl- oder Prozesswasser genutzt. Auch im Kieswerk von Johannes Orgeldinger leiten die Anlagen einen großen Teil des Wassers wieder in den See. Mehr als 95 Prozent, schätzt Johannes Orgeldinger. Lediglich ein geringer Teil des Wassers bleibe an Sand und Kies haften.

Hydrologe Harald Kunstmann macht aber klar: "Auch diese Entnahmen können große Auswirkungen haben." Das Wasser kommt bei Kühlprozessen etwa mit einer veränderten Temperatur in das Gewässer zurück – und bestimmte Fischarten seien laut Kunstmann sehr temperaturempfindlich. Die hohen Temperaturen der Gewässer im Sommer sind dem Experten zufolge ein Grund für den starken Rückgang mancher Fischbestände in Bayern.

Bei den Wasserrechten gibt es viele Einzelfälle

Viele der Unternehmen erklären auch, was an ihren Wasserrechten besonders ist – was es schwierig macht, sie zusammen zu betrachten oder zusammenzufassen. Bei der Entnahmestelle der Papierfabrik Palm im Landkreis Haßberge zum Beispiel drückt eine Strömung des Mains ins Grundwasser. Deshalb sei das Wasserangebot laut dem Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen hier "ergiebig und stabil". Aus diesem Grund habe man die Entnahme in Höhe von mehr als vier Millionen Kubikmetern im Jahr freigegeben.

Im Industriecenter Obernburg wird zuerst Wasser aus dem kleinen Fluss Elsava geholt, um es dann ins Grundwasser versickern zu lassen. Über Brunnen wird es dann wieder aus dem Boden gepumpt.

Digitales Wasserbuch angekündigt – Wassercent weiterhin unklar

Das bayerische Umweltministerium hat bereits angekündigt, ein digitales Wasserbuch einführen zu wollen. Unklar bleibt allerdings, ob und wann es veröffentlicht wird. Genauso, welche Daten darin enthalten sein sollen. In mehreren Bundesländern gibt es bereits digitale Wasserbücher – in Niedersachsen sogar inklusive der Namen der Entnehmer.

Neben einem digitalen Wasserbuch will die bayerische Staatsregierung auch einen sogenannten "Wassercent" einführen. Details dazu sind ebenfalls noch nicht klar. Die meisten anderen Bundesländer verfügen bereits über einen Preis für Wasser. Nach Ministeriumsangaben soll dem Kabinett noch vor der Sommerpause ein Entwurf vorliegen.

Bei den befragten Unternehmen stößt die mögliche Einführung des Wasserpreises auf zurückhaltende bis kritische Reaktionen. "Sollte sowas kommen, müssten wir das erfahrungsgemäß an den Endverbraucher weitergeben", sagt Johannes Orgeldinger. Zumal die Berechnung in seinem Fall schwierig sei: Soll die genehmigte Wassermenge bepreist werden? Die gepumpte Wassermenge? Oder die tatsächlich verbrauchte Wassermenge? Der Unternehmer sagt: Auch wenn gewerbliche Wasserentnahmen in Bayern an sich kostenlos sind, entstehen Kosten bei der Nutzung. Pumpen bedeute Stromverbrauch. Auch deshalb sei er bestrebt, den Wasserbedarf in seinem Werk gering zu halten.

Über die Daten:

Im vergangenen Jahr berichteten „Main-Post“ und BR über Datenlücken und Kontrolldefizite bei Wasserentnahmen in Bayern. Die Berichterstattung erfolgte weitgehend anonymisiert. Die meisten Behörden in Unterfranken wollten die Namen der Entnehmer nicht nennen. Sie verwiesen unter anderem auf Datenschutz und Geschäftsgeheimnisse. Ein Eilantrag am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof scheiterte.

Nun fragte das Team beider Redaktionen gezielt nach Informationen zu den Großentnehmern in der Region. Nach ausführlicher Begründung des Auskunftsanspruchs lieferten die Kreisverwaltungsbehörden dieses Mal. Die Daten der Kreisverwaltungsbehörden haben BR und „Main-Post“ mit Informationen der beiden unterfränkischen Wasserwirtschaftsämter abgeglichen. Schließlich verfasste auch das bayerische Umweltministerium einen Bericht mit Daten für die Abgeordneten des Landtags, der bisher noch nicht veröffentlicht wurde.

Das Rechercheteam ist Widersprüchen in den verschiedenen Datensätzen so gut wie möglich nachgegangen. Es erfolgten zahlreiche Rückfragen bei den Behörden, vieles konnte korrigiert werden. Alle Schritte und Entscheidungen, die getroffen wurden, um die Daten zu konsolidieren und zu bereinigen, hat das Team dokumentiert. Vollständigkeit kann aber aufgrund der unübersichtlichen Datenlage nicht garantiert werden.

Die Analyseergebnisse beruhen auf diesem finalen Datensatz, in dem 70 Wasserrechte mit einem Umfang ab 100.000 Kubikmeter pro Jahr verzeichnet sind. Die Zuteilung der Nutzer dieser großen Wasserrechte zu verschiedenen Branchen erfolgte ebenfalls redaktionell.

Im Video: Wer darf wo wie viel Wasser entnehmen?

Salatschleuder-Kieswerk-Wasserschlauch
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StandbilderMehrwert16052024

Dieser Artikel ist erstmals am 16. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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